Wenn einer eine Reise tut…

Reisen ist ein Erlebnis - und wie. Was ich bei meinem jüngsten USA- Besuch Mitte Februar 2009 erlebte, war mir noch nie zuvor widerfahren. Da war nicht nur der Aufenthalt ein Erlebnis, auch das Reisen war es.

Stopp – er ist da. Wir kommen!“ Die Mitarbeiterin von American Airlines spricht hastig ins Telefon und packt mich am Arm. Wir eilen durch den Tunnel zum Flugzeug und sehen vorne bereits die Maschine ganz langsam rückwärts rollen. Die Maschine hält an, die Tür geht auf und freundlich werde ich von einer Stewardess empfangen. „Das machen wir nicht für alle Gäste“, sagt sie mit einem Lachen auf dem Gesicht. Hinter mir wird die Tür wieder geschlossen und stark atmend begebe ich mich zum Sitz 31der AA 64 nach Zürich. Abflug um 17.25 Uhr am Dienstag, 17.Februar 2009. Doch noch geschafft - mein Gesicht und mein Hals sind nass vor Schweiss. Da kommt eine Stewardess mit einem Becher gefüllt mit Wasser nach hinten und auf mich zu: „I did not think, that you can do that“, sagt sie anerkennend und meint damit den Wechsel vom Flughafen La Guardia zum John F. Kennedy-Airport in New York innerhalb von einer Stunde während der Rush-Hour, dem Feierabendverkehr. Doch schön der Reihe nach.

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Ursprünglich wollte ich vorerst nicht mehr nach Florida reisen, nachdem ich 2004  erst in Miami war. Denn seit 1981 war ich immer wieder dort. Das erste Mal auf der Hochzeitsreise meine Frau Irma, danach während meiner Zeit als Profiboxer bis Ende 1986 zwecks sportlicher Weiterbildung bei Muhammad-Ali Trainer Angelo Dundee. Darauf folgten mehrere Ferienaufenthalte mit meiner Familie oder Besuche von Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen war. Und eine solche persönliche Einladung war es auch, die mich nun doch wieder in den „Sunshine State“ gezogen hat – der Love & Hope Gala Abend mit Barry Gibb.

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Via Internet fand ich rasch den günstigsten Flug nach Miami, wobei ich auf den Swiss-Direktflug verzichtete und das Handicap mit einem Umsteigen in New York in Kauf nahm. Schon bald zweifelte ich an der Richtigkeit des Entscheids, denn wegen einer dreistündigen Verspätung beim Abflug in Zürich am 12. Februar drohte der Weiterflug zu platzen. Und tatsächlich – in NY hiess es, der Flieger nach Miami sei schon weg und am gleichen Abend sei kaum mehr mit einem Weiterflug zu rechnen. Eine halbe Stunde später wurde ich bei der nächsten Maschine aber überraschenderweise doch zum Einstieg gebeten, um nachts um 23 Uhr dann in Miami zu landen. Das Auto hatte ich von der Schweiz aus reserviert, ein Hotelzimmer findet man in der Regel problemlos. Kurz nach Mitternacht lag ich denn auch schon in einem Bett in einem Motel am Biscayne Boulevard.
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Am Freitag folgte als Erstes eine Fahrt durch die Collins Avenue in Miami Beach. Unglaublich, wie sich dieses Ferienzentrum seit unserer Hochzeitsreise 1981 verändert hat. Im oberen Teil, der früher von flachen Hotelbauten dominiert wurde, stehen heute fast ausnahmslos 50-stöckige Hotels. Eins neben dem andern. Trump Tower und wie sie alle heissen. Auch besuchte ich Plätze und Orte, die ich von früheren Besuchen kannte. Und am Abend bot die Skyline von Miami und Miami Beach einmal mehr ein prächtiges Bild. Am Freitagabend besuchte ich im Südwesten von Miami auch ein Profi-Boxmeeting. Das Ambiente in der Box-Arena, die an ein Spielcasino angegliedert ist, war imposant. Dafür sorgten die rund 800 Fans, vorwiegend Latinos, um den Ring herum. Einer klopfte mir beim Vorbeigehen gar kräftig auf die Schulter, als einer seiner Landsleute einen Kampf gewonnen hatte. Boxen verbindet eben.

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Am Samstag versuchte ich Rick Mandris zu erreichen, den ehemaligen Co-Trainer von Angelo Dundee. Die verschiedenen Telefonnummern funktionierten aber nicht. Und auch der geplante Überraschungs-Besuch bei Angelo Dundee selbst fiel ins Wasser. Er hat kürzlich sein Haus in Weston in der Nähe von Fort Lauderdale verkauft und ist nach Tampa gezogen, das 450 Kilometer weiter nördlich liegt. Das war mir dann doch zu weit. Abends stand der Besuch des Gala-Abends mit Barry Gibb auf dem Programm. Einmal mehr war die Familie Gibb umwerfend freundlich.
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Am Sonntagmorgen hatte ich mich mit unserer Bekannten Carol verabredet, die in Boca Raton wohnt. Sie zeigte mir einige schöne Plätze in der Umgebung und erinnerte sich auch immer wieder an ihren Besuch in der Schweiz im Jahr 1985. Carol stammt aus einer durchschnittlichen amerikanischen Familie und ist ständig knapp bei Kasse. Mit ihren beiden Teilzeit-Jobs kann sie sich gerade so über Wasser halten, für Luxus-Artikel bleibt nichts übrig. Ein Ganztages-Job zu finden, bezeichnet sie auf Grund der hohen Arbeitslosen-Rate in Florida als unmöglich. Deshalb hat sie es sichtlich genossen, dass ihr ein Kollege wieder mal eine richtige Mahlzeit spendierte.

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Der Ablauf des Montags ist rasch erzählt, war mir doch ständig schwindlig. Ich hatte den Wechsel von der warmen Witterung – mit Temperaturen bis zu 30 Grad – und dem klimatisierten, besser gesagt gekühlten Hotelzimmer unterschätzt und lag flach. Abends packte ich den Koffer, um anderntags rechtzeitig zu Flughafen zu gelangen.

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Und es begann alles ausgezeichnet am Dienstagmorgen. Bereits kurz nach 8 Uhr hatte ich  eingecheckt auf dem International Airport in Miami und begab mich hin zum Gate, von dem um 12 Uhr meine Maschine in Richtung JFK-Airport in NY abheben sollte. Ich nutzte die bis dahin verbleibende Zeit, um auf dem Laptop zu schreiben. Etwas nach 11.30 Uhr wunderte ich mich, wo die anderen Passagiere bleiben und mein Blick auf die Anzeigetafel ergab, dass die Maschine an einem andern Terminal andockte. Rasch packte ich meine Sachen zusammen und rannte voll beladen zum besagten Terminal. Als ich mein Ticket vorwies, erklärte mir der Steward, dass mein Sitz bereits besetzt ist! Mir fehlten die Worte. Freundlicherweise organisierte er mir via Compter einen Sitzplatz in einer Maschine, die eineinviertel Stunden später in Richtung La Guardia abhob. Für den Transport zwischen den Flughäfen müsse ich aber selber besorgt sein. Es könne schon etwas knapp werden, hörte ich ihn beim Weglaufen noch sagen. Für mich war nun klar – ich fliege nie mehr mit American Airlines.

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Ein Unglück kommt selten allein – und weil das vorgesehene Flugzeug eine technische Störung hatte, musste eine Ersatzmaschine besorgt werden. Mit grosser Verspätung hoben wir ab. Mein Blick wanderte immer wieder zum Zifferblatt meiner Armbanduhr stets verbunden mit der Hoffung, die Zeit möge doch für einmal nicht so schnell vorüber gehen. Neben mir sass ein älterer Weltenbummler aus Aruba, der mir die ganze Zeit die Ohren vollredete, wo er schon überall war. Sein Mundgeruch war penetrant und seine erste Sprechpause nutze ich, um mich schlafend zu stellen. Die Ruhe war aber nur äusserlich, innerlich war ich gespannt. Am Ende landeten wir statt wie angekündigt um 16 Uhr erst um 16.10 Uhr in La Guardia.

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Noch bevor sich die anderen Passagiere in Richtung Flugzeugausgang begeben hatten, eilte ich schon durch den Flughafen in Richtung Ausgang. Beim Taxistand hatte es viele Autos – nur kein Taxi. Mit ungeduldigem Blick versuchte ich im dichten Verkehr ein Taxi auszumachen. Und tatsächlich, ganz weit hinten am Strassenrand erblickte ich eines. Als ich es endlich erreicht hatte, sah ich auf dem Rücksitz allerdings einen Fahrgast. Ich wollte schon wieder weggehen, als der Taxifahrer hupte. Seinen Fahrgast hatte er zum Flughafen gebracht.Ich stieg ein und erklärte ihm erst das Fahrziel und in kurzen Zügen meine Situation. Im besten Fall dauere es 20 Minuten bis zum JFK-Airport, es war jetzt schon 16.30 Uhr. Die Abflugzeit 17.25 Uhr rückte unaufhaltsam näher.

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Schliesslich dauerte die Fahrt wegen der Rush-Hour eine halbe Stunde und als ich die Fahrt mit Kreditkarte bezahlen wollte, erwischte ich beim Bordcomputer prompt die falsche Taste. Also zuerst die Rechnung stornieren und neu eingeben. Die Sekunden werden zu einer Ewigkeit. Und dabei stellte ich mir ständig die Frage nach dem Verbleib meines Koffers, den ich am Morgen in Miami in Richtung JFK aufgegeben hatte. So suchte ich im Flughafen erst einen AA-Infoschalter auf mit dem Ergebnis, an den Check-In-Schalter verwiesen zu werden. Dort schickte sich gerade eine japanische Touristengruppe an, sich anzustellen. Glücklicherweise hatten sie nicht die richtige Station gewählt und zogen wieder ab.

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Ich erklärte der Dame am Check-In mein Anliegen und fragte, wo wohl mein Koffer sein könnte. Beim Hinflug hätte ich ihn in NY entgegen nehmen und ihn für den Weiterflug nach Miami wieder einchecken müssen. Aber diesmal - auf dem Rückweg - würde das Gepäck doch automatisch zum nächsten Flug geleitet, sagte sie, und besah sich meinen Pass und das Flugticket. „Thank you very much“, sagte ich kurz angebunden und schnappte meine Dokumente. Mittlerweile war es 17.10 Uhr. Glücklicherweise standen bei Passkontrolle und Zollkontrolle wenig Passagiere, und fünf Minuten später war ich in Richtung Terminal unterwegs, rannte Richtung E45.

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Manche der Entgegenkommenden machten bei meinem Anblick Platz, die anderen wurden umgangen, was meistens gelang. Es herrschte ein reger Betrieb in den Terminals – ausser beim Ausgang E45. Dort waren schon alle eingestiegen, die Tür zum Gate bereits zu! Ich streckte der Dame meinen Pass und die Bordkarte entgegen, worauf sie zum  Telefon griff. „Stopp – er ist da. Wir kommen!“ Den Rest der Geschichte habe ich am Anfang ja bereits beschrieben. Für mich ist nun klar, ich werde doch wieder mit American Airlines fliegen. Mit gutem Gefühl. Meinen Koffer habe ich übrigens tatsächlich am Morgen in Zürich-Kloten entgegen nehmen können.
Andreas Anderegg